(*Update*) Im zunehmenden Maße bieten Laien innerhalb christlicher Gemeinden Seelsorge an. Dies resultiert unter Anderem daraus, dass immer mehr Freikirchen ihre Verantwortung nachkommen wollen, Menschen in all ihren Nöten zu begegnen. Grundsätzlich ist das ein durchaus begrüßenswerter Trend. Aber damit sind auch Verantwortungen verbunden, die manches Mal leichtfertig ignoriert werden.
Immer mehr, mehr oder weniger professionelle, Seminare zum Thema Seelsorge werden angeboten. Neben sehr qualifizierten und daher sehr empfehlenswerten Angeboten, gibt es aber auch sehr fragwürdige, bis hin zu absolut abzulehnende. Immer wenn in den Angeboten ein Hang zum Extremen zu erkennen ist, sollte man besser Distanz dazu einnehmen. Sei es, dass vermittelt wird, Seelsorge könne jeder menschlichen Not wirkungsvoll begegnen, oder sei es, dass medizinische und psychologische Erkenntnisse nicht beachtet oder gar abgelehnt werden.
Ein aktueller Fall in Herborn/Limburg zeigt auf, wie schnell Seelsorger ohne halbwegs qualifizierte Schulung ihre Verantwortung sträflich übersehen.
Ein psychisch kranker Mann hatte Kontakt zu einer christlichen Gemeinde, die auch einen Schwerpunkt im Gebet für Heilung auf körperlicher, als auch psychischer Ebene legt. Dort wurde mit ihm für Heilung gebetet und ein Seelsorger (gelernter Schreiner) begleitete ihn über längere Zeit. Dieser psychisch kranke Mann leidet an Schizophrenie, inklusive der hier nicht untypischen Symptomatik, dass er Stimmen hört.
Im April dieses Jahres tötete dieser Mann, in einem schizophrenen Schub, einen Mann, der als Pförtner in einer Firma arbeitete. Die Stimme Gottes habe ihn das befohlen, gab er später an.
Nachzulesen in folgenden Artikeln: Artikel 1 über den Beginn des Prozess und Artikel 2 über die Vernehmung von Verantwortlichen aus der Gemeinde. (Leider wurden die Artikel mittlerweile auf dem Server gelöscht)
Hier wird sehr deutlich, dass, aufgrund von mangelnder Qualifikation / mangelndem Wissen oder auch aus religiöser Ignoranz die konkrete Gefahr, welche von dem Kranken ausging, nicht erkannt wurde. Leider ist dies nur ein Fall mehr, der mir bekannt wurde, in dem das mangelnde Verantwortungsbewusstsein oder schlichte religiöse Ignoranz eine tödliche Folge hatte.
Zitat aus dem zweiten Artikel:
Bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Zeuge auch erzählt, was er dem Herborner zu den Stimmen geraten habe: „Ich habe ihm erklärt – wenn er Stimmen hört -, wo es herkommt. Es gibt drei Möglichkeiten: die innere Stimme, die Stimme Gottes oder die Stimme des Satans, des Teufels. Wenn er die innere Stimme hört, soll er überlegen, was er macht. Der Stimme Gottes soll er folgen und der Stimme des Teufels auf gar keinen Fall folgen. Das hat er auch verstanden und gesagt, dass er das befolgen wolle.“ Tipps von einem Schreiner für einen mutmaßlich Schizophrenen. Kommentar der Richterin: „Hier hat ein Gemeindemitglied eine Sache hingenommen, bei der es fünf vor zwölf war, bei der alle Glocken hätten klingen müssen.“
Richterin Walter fragte den Zeugen schließlich: „Fühlen Sie sich schuldig“? – „Woran?“ – „Mitschuldig, dass Sie statt Beten lieber einen Arzt hätten rufen sollen?“ – „Der Gedanke ist mir nie gekommen.“
Dreimal sei er auch Abends, nachdem ihn der Kranke telefonisch darum gebeten habe, in die Wohnung des psych. Kranken gefahren, um mit ihm zu beten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Jeder, der halbwegs mit psych. Krankheiten vertraut ist, hier deutliche Alarmzeichen gesehen hätte. Wenn man dies so liest, kommt einem unwillkürlich der bekannte Spruch in den Sinn: „Schreiner bleib bei deinen Leisten!“
Ich glaube gerne, dass dieser Laienseelsorger sein Bestes gegeben hat und in seiner seelsorgerlichen Tätigkeit auch recht hingebungsvoll ist. Doch das alleine ist eben leider manches Mal nicht genug.
Auch die Konsultationen bei einem befreundeten chr. Verein, der speziell zum Zweck des Angebots für Heilungsgebete gegründet zu sein scheint, (immerhin heißt er: „Heilungsgebet Wetzlar e. V.“) hat keinen Seelsorger dazu veranlasst eine Behandlung durch einen Psychiater sicherzustellen. Dilettantismus allerorten? – fragt man sich unwillkürlich. Bei all den seelsorgerlichen Heilungsangeboten nicht ein Verantwortlicher, der zumindest halbwegs Ahnung von psych. Krankheiten hat?
Zitat aus dem zweiten Artikel:
Im Gegensatz zum Christlichen Zentrum Herborn hat sich der Wetzlarer Verein rechtlich abgesichert. Wer dort ein Heilgebet will, muss vorab ein Formular unterschreiben und versichern, dass er wegen der Gebete nicht zum Beispiel zuvor verschriebene Medikamente absetzt. Vorsitzender des Vereins „Heilungsgebet“ ist der stellvertretende Direktor des Wetzlarer Amtsgerichts. …
Er musste nicht vor dem Limburger Landgericht aussagen. Allerdings berichtete ein Vereinsmitglied, eine Frau aus Schöffengrund als Zeugin. Nach ihren Angaben nehmen etwa 15 Personen an den Heilungsgebeten in Wetzlar teil. Der Herborner sei dreimal dabei gewesen: im Januar, im März sowie am 3. April. Beim ersten Mal hätten sie für die Heilung seiner Pickel am Hinterkopf gebetet, das zweite Mal wegen seiner Rückenschmerzen und einem Knacken im Fuß („Während des Gebets streckte sich die Wirbelsäule“) und das dritte Mal für die Heilung seiner Allergien. So stehe es auch auf den Formularen. Die Kripo hatte die Papiere beschlagnahmt. Auch dort gibt es laut Staatsanwalt nur den Hinweis auf die körperlichen Probleme. Nichts von Stimmen.
Dennoch kritisierte Richter Karin Walter den Verein scharf: „Ich kann nicht verstehen, wie medizinische Laien so etwas tun. Sie wiegen jemanden in Sicherheit, wenn Sie sagen, Sie beten eine Krankheit weg. Sehen Sie nicht Gefahr? Das erschüttert mich.“
Aus meiner langjährigen Erfahrung mit psych. Kranken weiß ich nur zu gut, dass erfahrenen Seelsorgern aufgefallen sein muss, dass dieser Mann psych. krank ist. Menschen mit schizophrenen Erkrankungen zeigen schon bei Beginn eines akuten Schubs deutliche Symptome, die für erfahrene Berater kaum zu übersehen sind.
Auf beiden Homepages, der der Gemeinde und der des „Heilungsgebet Wetzlar e. V.“ findet sich nicht ein Hinweis dazu, dass zu erwartende Heilungen durch Ärzte bestätigt werden sollten oder dass man bis zur vollständigen Heilung in ärztlicher Behandlung bleiben sollte. Dafür findet sich auf der Homepage der Gemeinde ein vollmundiger Artikel, dass Gott auch bei psych. Krankheit heilen will.
Zitat – Stand 09.10.14:
Was tue ich bei Krankheit?
Wir glauben, dass die Bibel uns neben emotionaler/seelischer Heilung auch physische Heilung zusagt.
Lesen Sie dazu die folgenden Bibelworte: ….
Es folgt eine Auflistung von Bibelstellen, die alle, wenn überhaupt, nur am Rande etwas mit psych. Krankheit zu tun haben. Einfach nur eine Wiederholung des Zitates, dass Jesus alle Krankheiten zu heilen vermag, sagt eben noch nichts darüber aus, wie er das tut und wen er ggf. dafür nutzt. Irgendein Hinweis darauf, Medikamente weiter zu nehmen, bis der zuständige Arzt sie absetzt oder auf evtl. notwendige psychiatrische oder psychotherapeutische Begleitung fehlt völlig.
Religiöse Ignoranz und Arroganz
Ich möchte hier deutlich vor religiöser Ignoranz oder Arroganz warnen! Da gibt es die Einen, die meinen alleine durch ihre Glaubensvorstellungen und Gebete alle Krankheiten, ohne jede weitere Inanspruchnahme medizinisch kompetenter Begleitung, heilen zu können. Und da gibt es die Anderen, die sich in ihrem blinden Halbwissen (wenn überhaupt vorhanden) gegen schulmedizinische und vor allem psychologische Erkenntnissen stellen und solches als „sündig“ und „gegen die Bibel“ deklarieren.
Gerade durch solche Möchtegern-Seelsorger werden immer wieder Fälle bekannt, wo die „Seelsorge“ mehr geschadet als genutzt hat. Manchmal eben auch mit Todesfolgen – entweder durch Suizid des psych. Kranken oder, wie hier, durch eine folgende Gewalttat durch den psych. Kranken.
Seelsorge – Ja, aber nicht ohne Verantwortung zu tragen
Als chr. Lebensberater bin ich ganz sicher nicht gegen Seelsorge, auch durch Laien. Ich sehe vielmehr den großen Wert, welcher in verantwortlich ausgeführter Laien-/Seelsorge liegt. Dies zu fördern gehört zu meinen Anliegen. Doch wenn man Menschen seelsorgerlich begleiten will, muss man seine eigenen Grenzen kennen. Vor allem die Grenzen der eigenen Kompetenz! Gemeinschaften, Gemeinden und Werke, die Seelsorge und Heilungsgebete anbieten, sollten unbedingt sicherstellen, dass sie dies mit kompetenter Beratung und Begleitung tun. Alles Andere ist schlicht unverantwortlich.
Ähnlich äußern sich auch Fachleute zu dem Geschehen in Herborn/Limburg in einem Kommentar auf idea.de.
– – – (*Update*) 13.10.14 – – –
Als Reaktion auf das, durchaus berechtigte, Nachfragen der Richterin an die beteiligten Christen, hat nun ein Christ es für nötig gefunden, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Richterin einzureichen.
Zitat aus dem Artikel:
Im Prozess um die Tötung eines Rittal-Pförtners hatte die Richterin Religionsgemeinschaften aus Herborn und Wetzlar wegen deren Heilgebete scharf kritisiert. Daraufhin hat sich nun ein Dietzhölztaler an die hessische Justizministerium gewandt und eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Richterin eingereicht.
In der Beschwerde, die er auch an diese Zeitung faxte, steht: „Betende und humanitär Hilfe leistende Christen, zu denen ich auch gehöre, werden von Richterin Walter lächerlich gemacht, verspottet.“ Außerdem werde versucht, diese strafrechtlich zu verfolgen. Der Dietzhölztaler fordert die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) auf, „die Richterin Walter abzumahnen und aufzufordern, unverzüglich weitere diskriminierende Aussagen/Handlungen zu unterlassen“. ….
Der Dietzhölztaler argumentiert in seiner Dienstaufsichtsbeschwerde: Es sei klar gewesen, dass der Beschuldigte lange vor der Tat in psychiatrischer Behandlung gewesen sei. Die Vorhaltungen seien deshalb „völlig unnötig und überflüssig“. „Die Christen, die hier vor das Gericht in Limburg geladen wurden, waren ganz offensichtlich nur geladen, um wegen ihres Glaubens lächerlich gemacht zu werden. Es war klar, dass ein Gebet und humanitäre Hilfeleistung kein Straftatbestand darstellt.“
Genau ein solch dummes und uneinsichtiges Verhalten braucht diese Welt wirklich nicht von uns Christen! Diese Reaktion ist derart hanebüchen, dass man sich hier nur noch an den Kopf fassen möchte und sich von Gott wünscht, Er würde auch solche Christen mit mehr Selbstkritik begaben.
– – – 22.10.14 – – –
Der Täter geht in forensische Haft. Hier der Artikel dazu.
Die Rolle des Christlichen Zentrums Herborn sowie des Wetzlarer Vereins „Heilungsgebet“ wurde auch am Mittwoch nochmal angesprochen. Richterin Karin Walter sowie Staatsanwalt Frank Späth nutzten die Gelegenheit zu Klarstellungen.
Späth sagte: Es gebe keine Vorbehalte gegenüber den beiden Organisationen, aber gegenüber einzelnen Personen. Sie hätten möglicherweise auf den Beschuldigten einwirken und dessen religiösen Wahn dämpfen können. So bleibe ein Beigeschmack.
Und Walter: Die Vernehmung von Zeugen aus beiden Institutionen habe alleine der Aufklärung des Krankheitsbildes des Beschuldigten gedient.
Ich halte sehr viel von Seelsorge, aber einfach Tabletten absetzen, halte ich für sehr leichtsinnig.
Ärzte sind auch wichtig! Jesus schickte die Geheilten ja auch zu den Schriftgelehrten, die damals prüften ob der Mensch gesund sei, bei Aussatz.
Wenn ich für einen Gelähmten bete und der nicht aus dem Rollstuhl aufsteht, wäre es mehr als fahrlässig diesem Menschen den Rollstuhl wegzunehmen.
Warum man psychisch kranken Menschen den „Rollstuhl“ wegnimmt weiß ich nicht.
Vielleicht sollten da die Gemeinden verstehen lernen, dass auch das eine Krankheit ist.
Ich selbst litt an einer post traumatischen Belastungsstörung, Depressionen und Panikattacken. Medikamente halfen in meinem Fall überhaupt nicht.
Gott hat dies inzwischen selbst in Ordnung gebracht.
Denke wer geheilt ist, wird die auch von einem Facharzt bestätigt bekommen.