Buch: „Das Cafe“ von Thrall/McNicol/Lynch

Lesezeit: 7 Minuten
Buch
© Charly Lücker

Vor Kurzem wurde ich auf den Roman „Das Cafe“ (Originaltitel: „Bo’s Cafe“), erschienen 2010 bei GerthMedien, aufmerksam gemacht. Das amerikanische Original kommt 2009 aus dem Hause „Windblown Media“ aus dem auch „Der Schrei der Wildgänse“ und „Die Hütte“ stammen. Das war mit ein Hauptgrund, warum ich neugierig auf diesen Roman war. Unter anderem auch, weil die vorherigen Romane nicht nur Erzählungen, sondern auch eine angenehme Wissensvermittlung in Bezug auf das christliche Glaubensleben waren. Dies versucht dieser Roman auch.

Inhalt: Steve Kerner hat einen hochbezahlten Job und Familie. Doch in beidem läuft es nicht wirklich gut. In seiner Ehe ist das Klima so angespannt, dass es ihn nach der Arbeit nicht wirklich nach Hause zieht. So landet er in der, jetzt heruntergekommenen, ehemaligen Stammkneipe seines Vaters. Dort spricht ihn Andy, ein exzentrischer älterer Mann, an und dieser scheint sehr viel von ihm zu wissen. Mit diesem kommt Steve später in Bo’s Cafe an, wo er auf eine Gruppe eigentümlicher Christen trifft. Mit der Hilfe von Andy und diesen Christen bekommt Steve einiges wieder in den Griff, indem er dort lernt, was Gnade Gottes eigentlich bedeutet.

Ich äußere mich aus der Sicht eines Christen, der nun schon seit geraumer Zeit „einfache Gemeinde“ lebt und als christlicher Lebensberater zu dem Inhalt dieses Romans. In beiden Fällen bin ich an echter, authentischer Gemeinschaft unter Christen und auch der Vermittlung der Gnade Gottes interessiert.

Nun zu einzelnen Aspekten des Romans (Achtung! Spoileralarm):
Rein vom Schriftstellerischen her, hat der Roman an diversen Stellen seine Längen. Längen, die nach meiner Meinung unnötig wären. Diese tauchen an Stellen längerer Dialoge auf, zu denen ich gleich weiteres sagen werde.

Wer ist Steve?
Steve ist aus meiner Sicht ein Mann, der schon lange am Rande seiner Kapazitäten lebt. Daraus resultiert, dass er sich so ausgebrannt fühlt und leicht reizbar ist. Im Buch wird Steve unterstellt Jähzornig zu sein. Doch bei aller Liebe: Jähzorn sieht ganz anders aus! Einzelne Wutausbrüche, die durchaus aus überzogenen Reaktionen resultieren, sind noch lange kein Jähzorn. Steve schafft es immer wieder sich schnell zu beherrschen und entzieht sich der aufgeladenen Situation. Das würde ein jähzorniger Mensch nicht schaffen. Steve bemerkt sein Verhalten, hat aber keine Antworten dafür.

Seine Frau Lindsey wird im Buch als geduldiges und sanftes Opfer von Steves Ausbrüchen beschrieben. Ihre Interaktionen mit Steve sind teils sehr lebensnah und detailliert beschrieben. Aus meiner Sicht ist Lindsey aber alles andere, als das arme Opfer. Sie weiß sehr gut, wo sie bei Steve auf die entsprechenden Knöpfe drücken muss, um ihn so zu provozieren, dass er schlecht und sie gut dasteht. Und das tut sie dann auch mehr und mehr. Sie ist es, die Steve zum Ausrasten bringt und schmeißt Steve letztlich aus dem gemeinsamen Haus, in welchem sie mit ihrer Tochter leben, hinaus. Sie erwähnt mehrere „gute Freunde“, die ihr aber alles andere als gute Ratschläge geben. Später, als Steve im Hotel lebt, tauscht sie sogar alle Schlösser aus. Angeblich, weil sie sich und ihre Tochter beschützen müsste. Doch der Leser fragt sich: wovor eigentlich? Da Steve brav ihren Anweisungen folgt, nur ins Haus zurückkommt, wenn keiner von ihnen da ist und ansonsten keinerlei Widerstand zeigt, gibt es eigentlich nichts, wovor Lindsey sich und ihre Tochter schützen müsste.
Steve wird im Laufe der Bearbeitung seiner Probleme richtiger weise aufgezeigt, dass er durch seine Wut und Aggression Kontrolle über sein Leben behalten will. Der aufmerksame Leser muss jedoch auch feststellen, dass nicht nur Lindsey Steve durch manipulatives Verhalten wirksam kontrolliert.

Ihre gemeinsame Tochter Jennifer (11 Jahre) taucht in der Geschichte recht selten auf. Zweimal hat sie ein Gespräch mit Steve, in denen sie erwachsener wirkt, als ihre Mutter. Ihr spürt man zwar eine starke Verunsicherung, aber keine wirkliche Angst vor ihrem Vater ab.

Andy erweist sich als alter Freund von Steves Vater, welcher selbst einmal einen gut bezahlten Job in der Finanzbranche hatte, nun aber in einem Jachthafen als einfacher Arbeiter arbeitet. Andy hat, auch mit Hilfe einer Christin, Cynthia, sein Leben nach einem Zusammenbruch wieder auf die Reihe bekommen. Nun ist Andy der Mittelpunkt einer Gemeinschaft von Christen, die sich regelmäßig in Bo’s Cafe am Strand treffen. Alle haben mehr oder weniger einen Zusammenbruch erlebt und haben durch das Erfahren von Gottes Gnade und Andys Hilfe ihr Leben auf neuen Grund aufgebaut.
Andy, man möge mir verzeihen, wirkt in der Geschichte wie der Guru der Gruppe. Alle schauen auf ihn und erhoffen durch ihn die Hilfe, die die Mitglieder der Gruppe brauchen.
Als wirklich weise erscheint mir Andy nicht. Auch nicht besonders geschickt im Umgang mit Menschen, aber dafür sehr berechnend.

Die Gruppe der Christen in Bo’s Cafe nimmt für sich in Anspruch, eine Gemeinschaft zu bilden, in der über alles offen gesprochen werden kann und dennoch niemand abgelehnt wird. So auch der Untertitel des Romans: „Jeder braucht einen Ort, an dem er echt sein kann.“
Solche Gruppen sind nun wahrlich nichts neues oder originelles. Alle „zwölf-Schritte-Gruppen“, wie die anonymen Alkoholiker und welche es noch alle gibt, sowie diverse Selbsthilfegruppen tun nichts anderes. Mir sind aus Amerika und anderen Ländern sogenannte „heilende Gemeinschaften“ und andere Versuche verbindlicher Gemeinschaften bekannt. Die „zwölf-Schritte-Gruppen“ sind deshalb so erfolgreich und auch therapeutisch wirksam, weil sie am Rande des Lebens der Mitglieder bleiben und von dort aus Hilfestellungen bieten. Intensivere, künstlich gebildete Gruppen werden oft schädlich oder bieten den Boden für Missbrauch verschiedenster Art.
In dieser Gruppe in Bo’s Cafe wird zwar immer wieder von der Gnade Gottes gesprochen, aber anscheinend sind es die Mitglieder der Gruppe alleine, die diese Gnade vermitteln. Eher am Rande findet Steve hier Hilfe, sich Gott und einer neuen Gotteserfahrung zu öffnen. Die Gruppe selbst ist sehr auf sich und Andy fixiert.

Die Dialoge zwischen Steve, Andy und der Gruppe sind ausführlich. Oft auch einfach nur langatmig. Hier finden sich die oben erwähnten unnötigen Längen der Erzählung.
Geradezu erstaunlich sind die angeblichen Erkenntnisse, die die Anderen über Steve zu haben meinen. Der Leser folgt der Erzählung Steves und damit nimmt er auch an Steves verborgenen Gedanken und Emotionen teil. Doch der Leser sucht vergeblich nach Hinweisen zu all den Dingen, die Steve von den Anderen über sich offenbart werden.  Da fragt man sich unwillkürlich, ob Steve sich in eine Gruppe Möchtegernpropheten verlaufen hat.
Als Mensch mit über 30 Jahren Erfahrung in der seelsorgerischen und therapeutischen Begleitung von Menschen, kommen mir diverse „Erkenntnisse“ der Gruppe auch ziemlich hanebüchen vor.
Aber immerhin findet Steve in dieser Gruppe Menschen, die zwar fast nie von sich aus Kontakt zu ihm suchen, aber dennoch ihn nicht ablehnen. Auch dann nicht, wenn Steve sich daneben benommen hat. Kein Wunder eigentlich, weil anscheinend alle Mitglieder der Gruppe echte Probleme im direkten Umgang mit anderen Menschen haben. Aber sie nehmen sich gegenseitig so an, wie sie halt sind.

Steve findet mit der Hilfe von Andy und der Gruppe seinen Weg. Er kann sich mit seiner Frau wieder versöhnen und sie schaffen es ihre Ehe wieder auf festeren Beinen zu stellen. Auch seine Beziehung zu seiner Tochter wird intensiver. Er wird nachsichtiger mit sich selbst und kann sich selbst auch besser spüren. Dadurch werden seine Wutausbrüche seltener und weniger heftig. (Was erwartet man auch anderes am Ende eines durchschnittlichen Romans?)

Lindsey scheint es auch zu schaffen, ihrem Mann wieder ein Zuhause und nicht nur einen weiteren Ort des Stresses und Horrors zu bieten. Doch nach meiner Meinung sind Steve und Lindsey in einer bösen Falle. Da alleine Steve der Problembelastete zu sein scheint und Lindsey madonnenhaft als zartes Pflänzchen mit starker Selbstsicherheit da steht, ist die nächste Katastrophe absehbar. Nach allgemeiner psychotherapeutischer Erfahrung ist damit zu rechnen, dass Lindsey Steve weiter manipulieren wird. Ihr Hintergrund, warum sie sich ausgerechnet Steve, der nach ihrem Bekunden schon immer zu Wutausbrüchen neigte, als Ehemann ausgesucht hat, wird nicht mit einer Silbe betrachtet oder kritisch hinterfragt. So steckt Steve in der Täterfalle. Er wird so immer Täter und damit ein potentielles Risiko bleiben und Lindsey die heldenhafte Frau, die ihn dennoch nicht (mehr oder weniger) von sich stößt.
Paare mit einer solchen Problematik werden nicht gesunden, wenn lediglich der offen aggressivere Part therapiert wird. Denn das gegenseitige Kontrollieren bekommt hier lediglich eine ungesunde Schlagseite.

Die Autoren der Geschichte erweisen sich als Besitzer eines profunden Halbwissens über die menschliche Psyche. An einer Stelle im Roman wird deutlich, dass sie psychologische Hilfe zwar nicht wirklich ablehnen, aber eigentlich auch nicht viel davon halten. Das merkt man an der Geschichte sehr deutlich! Die Autoren vermitteln zwar den Wert einer Gemeinschaft, die mehr am Menschen selbst, als an den Leistungen etc. desselben interessiert ist. Sie beschreiben auch an wenigen Stellen recht gut, was Gnade, die uns durch Gott erwiesen wird, wirklich ist. Doch damit hat es sich dann auch.
Die Art der Gemeinschaft, die sie in dem Buch vorstellen, würde ich nicht als empfehlenswert empfinden. Da fehlt einiges an echtem Interesse am Anderen. Da fehlt einiges an echter Zuwendung. Vor allem fehlt es am echten Zuhören! Man kann den Eindruck gewinnen, dass diese Gruppe dadurch lebt, dass Andy immer wieder neue Opfer Ziele seiner Hilfe findet. Ich lege deutlich andere Schwerpunkte an eine gesunde Gemeinschaft von Christen, als das, was uns hier als „sicherer Ort“ präsentiert wird. Und letztlich finden Steve und Lindsey nicht die umfassende Hilfe, die sie eigentlich brauchen.

Fazit:
In dem Roman wird der Versuch unternommen eine alternative Gemeinschaftsform unter Christen vorzustellen. Die Absicht ist gut, das Ergebnis eher weniger. Wahr ist, dass Christen mehr suchen sollten, als das gemeinschaftliche absolvieren kirchengemeindeorientierter Programme. Wahr ist, dass Menschen echte „sichere Orte“ brauchen, welche früher einmal durch Familie und Freunde gegeben sein sollten. Wahr ist auch, dass die wahre Bedeutung der Gnade Gottes so selten gepredigt und gelehrt wird.
In dem Roman wird zwar von der heilenden Gnade Gottes gesprochen, doch wird kaum geschildert, wie man diese auch im direkten Umgang mit Gott und nicht nur durch menschliche Mittler erfährt. (Ganz anders in den vorherigen Büchern aus dem Hause Windblown Media.)

Ich kann dieses Buch niemanden wirklich empfehlen. Erst Recht Niemanden, der mit Wutausbrüchen und damit verbundenen Eheproblemen zu kämpfen hat. Schade, ein vielversprechender Ansatz, der in diesem Roman aber nicht wirklich zur Blüte kommt.

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