Wirklich eine Investitionsruine Gottes?

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Kirchenruine auf Iona
© Charly Lücker

Heute fand ich einen Artikel auf idea, welcher von einem Vortrag vom Landesinspektor des pietistischen Landesverbandes Landeskirchlicher Gemeinschaften in Sachsen, Matthias Dreßler (Chemnitz) auf der Glaubenskonferenz der Deutschen Evangelischen Allianz berichtet. Es ging um das Thema Berufung eines Christen. Eine markante Aussage ist folgende: Dreßler im Blick auf die Begabungen: „Wenn jemand sie nicht nutzt, ist er eine Investitionsruine Gottes. Gott hat investiert, es liegt aber brach.“

Ich muss sagen, ich habe bezüglich der ständig anhaltenden Bemühungen, Christen zu freiwilligen Diensten in und um christliche Gemeinden herum zu bewegen, schon eine Menge gehört. Doch dieser Ausdruck: „Investitionsruine Gottes“ ist schon der Hammer. Sicherlich provokant und regt damit zur Diskussion an. Das hat bei mir funktioniert, denn so will ich das nicht stehen lassen.

In meinen Überlegungen über die Eigenarten des programmorientierten Gemeindebaus komme ich recht bald dazu festzustellen, dass dieser Fokus auf die Programme von Kirchengemeinden und allem was Drumherum geschieht, zwingend dazu führen muss, alle Christen, die diese Programme aufsuchen, zu einer Mitarbeit anzuhalten. Denn diese Programme haben die Eigenart eines nimmersatten Molochs, sie haben nie genug Mitarbeiter.
Daher finden wir in schöner Regelmäßigkeit in den Kirchen und Gemeinden Predigten, Bibelarbeiten, etc. die mehr oder weniger Druck zur Mitarbeit an und in den Programmen aufrufen. „Gottesdienst“ wird dieser Dienst genannt. Doch ist das ein Dienst, an dem Gott automatisch Freude haben muss?

Was finden wir denn in der Bibel zu dem Thema Gottesdienst?
Jakobus 1:27 Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott und dem Vater ist dieser: Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu erhalten.*

Jesaja 58:6 Ist nicht vielmehr das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Ungerechte Fesseln zu lösen, die Knoten des Joches zu öffnen, gewalttätig Behandelte als Freie zu entlassen und daß ihr jedes Joch zerbrecht? 7 Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und daß du heimatlose Elende ins Haus führst? Wenn du einen Nackten siehst, daß du ihn bedeckst und daß du dich deinem Nächsten nicht entziehst?*

Rö 12:1 Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer, was euer vernünftiger Gottesdienst ist. 2 Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes, daß ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.*

Also ich stelle hier fest, dass Gott unter Gottesdienst offensichtlich schon immer etwas anderes als Programme verstanden hat.
Ich will keineswegs verschweigen, dass wir in der Bibel auch eine gute Menge Stellen finden, die über gemeinsame Anbetung, gem. Gebet, Lobpreis, Lehre, etc. handeln. All das stelle ich nicht in Abrede. Ich stelle hier jedoch fest, dass dies alles kein Gottesdienst ist! Kein Dienst von Menschen für Gott! Vielmehr dient all das zuletzt erwähnte uns selbst, um uns darin Gott zu widmen, Seine Nähe zu suchen, mehr über Ihn und uns zu erfahren. Somit ist das alles nicht falsch – beileibe nicht. Aber in der Frage des Gottesdienstes eher sekundär. Das Gott primär Wichtige finden wir z.B. in den oben angeführten Bibelstellen.

Was mich an solchen Aussagen so ärgert.
Die Überhöhung der Wichtigkeit der verschiedenen Dienste in Gemeinden als das eigentliche Ziel Gottes mit uns als Personen ist abstoßend. Letztlich sagt der oben genannte Redner und all die, die ähnliches von sich geben, dass ein Christ nur dann von Gott als gefällig betrachtet werden kann, wenn er sich mit seinen Begabungen in den Gemeindediensten einbringt (wenn nicht gar verausgabt). Immerhin: bringen wir unsere Begabungen nicht in die Dienste irgendeiner örtlichen Gemeinde ein, so sind wir ja eine „Investitionsruine Gottes„. Kein prachtvoller Bau zur Ehre Gottes, nein, einer Ruine gleich.

Sollen wir also unsere Begabungen nicht in die Gemeinde einbringen?
Doch doch, dass können wir gerne tun. Eben als etwas Sekundäres, als etwas, was wir über unsere tatsächliche Berufung hinaus noch tun, wenn wir unseren Sendungen nachgekommen sind.
„Was redet der denn jetzt für ein Zeug?“ mögen sie sich nun fragen. Ok, ich muss das etwas ausführen:
Ich bringe hier mal den Autor Magnus Malm und sein Buch: „Gott braucht keine Helden“ ein. Darin führt er aus, was die tatsächliche Berufung für alle Christen ist und was lediglich Sendung.

„Die Berufung ist nicht ein Auftrag, bestimmte Dinge für Gott zu erledigen, sondern die Einladung in eine Gemeinschaft. … Berufung ist die Wiederherstellung der Beziehung zwischen Gott und Mensch, auf dass der Mensch heil werde und zu seiner wahren Identität finde. … In der Berufung gibt Jesus meiner Identität ihre ewige Verankerung und beginnt, meine Persönlichkeit nach der seinigen umzugestalten. In der Sendung fließt meine Berufung gleichsam zu meinen Mitmenschen über, so dass auch sie ihre Früchte genießen können. Die Berufung ist das große und ewige Projekt meines Lebens, die Sendung ist zeitlich begrenzt und sehr flexibel. Die Berufung gibt meinem Selbstgefühl und meiner Menschenwürde das Fundament; die Sendung hat damit nichts zu tun, sie ist eine Arbeit, die meinen Wert weder mehrt noch mindert. In der Berufung prägt Gott mein ‚Ich’ in der Begegnung mit seinem ‚Du’; in der Sendung muss sich die Tragkraft dieser Beziehung bewähren. Ich gebe mich nicht meiner Aufgabe hin, sondern ich gebe mich Gott hin, so dass er mir Aufgaben geben kann. … Wir müssen frei werden von dem erniedrigenden Glauben, dass Gott ein armer, alter Mann ist, der dringend Menschen braucht, die ihm helfen.“ (Magnus Malm: Gott braucht keine Helden, Wuppertal 1997)

Magnus Malm definiert Berufung als den Ruf Gottes an alle Menschen, insbesondere Christen, in Gottes Gegenwart zu kommen und dort zu sein. Dort Heilung und Stärkung zu finden. Dort das eigentliche Ziel unseres Seins zu finden. Das ist unsere Berufung.
Dienste bezeichnet Magnus Malm dann als Sendungen. Gott sendet uns aus, bestimmte Dinge zu tun, um dann, wenn wir dies getan haben, wieder in unsere Berufung, in Gemeinschaft mit Gott zu leben, zurückzukehren.

Das ist eine völlig andere, meiner Meinung nach deutlich biblischer Sicht auf das Thema Christen und ihre Berufung. Da wird nicht weiter die Gemeinde mit ihren nimmersatten Bedürfnissen an erste Stelle gestellt und als Ausübungsort für die von Gott gegebenen Begabungen. Sondern der Fokus liegt darauf, warum Gott in Jesus Mensch wurde: Die Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Diese ist von Gottes Seite mit Liebe, Barmherzigkeit, Zuwendung und vielem mehr erfüllt. Kein Wunder also, dass wir beim Thema Gottesdienst auf so andere Bibelstellen, wie oben angeführt, treffen. Denn unsere Sendungen, unser Ausleben von dem, mit dem Gott uns begabt hat, soll ein Ausfluss dessen sein, was wir in unserer Berufung, in der Gemeinschaft mit Gott erleben.

Was besonders Wichtig ist: Der Christ wird nicht weiter nach seiner Nützlichkeit für die Durchführung von Diensten in Gemeinden bewertet. Sondern seinen Wert findet der Christ in der Begegnung mit Gott und dessen Reaktion. Nicht was du tust, macht deinen Wert aus, sondern was und wo du bist.
Das, was du dann noch als Dienste in eine Gemeinde einbringst, ist keineswegs deine fromme Pflicht, sondern Ausdruck Dessen, was du in der Gemeinschaft mit Gott erlebst und tatsächlich freiwillig. Keine Pflicht, sondern freie Gabe.

Fazit: Gibt es also so etwas wie eine „Investitionsruine Gottes„?
Klare Antwort: Nein!
Jede Liebe, die Gott in dich investiert, wird ihre Frucht bringen. Alles was Gott in dich investiert, wird dich zunächst heilen, aufbauen und stärken. Ohne Ausnahme. Das, was du nun für andere Menschen tust, sei es in Gemeindediensten und / oder darüber hinaus, ist lediglich ein Überfluss, eine Weitergabe der Frucht dessen, was Gott dir gegeben hat. Wie Magnus Malm sagt: Dienste sind temporäre Sendungen, nach denen wir in unsere Berufung zurückkehren.
Du bist kein Investitionsobjekt Gottes zum Zwecke eins von Menschen betriebenen Gemeindebaus. Deine Gaben und Begabungen darfst du frei und ohne Gewissensdruck ausleben und einbringen. In Gemeinde oder auch an ganz anderen Plätzen – wohin immer Gott dich sendet. Ob und wie du das tust, wird deinen Wert in Gottes Augen nicht beeinflussen.

(* Bibelstellen aus der Rev. Elberfelder Übersetzung)

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