Auf der Suche nach einem nicht-toxischen Männerbild

Lesezeit: 7 Minuten
Frau aus Zeitung beschimpf Leser
© Charly Lücker

Männer stehen in unserer Gesellschaft unter Dauerfeuer. Es geht um die Definition, wie ein gesundes Männerbild zu beschreiben ist. Seit Jahrzehnten wird darum gestritten und hat in letzter Zeit gefühlt seine Spitze erreicht. Obwohl ich befürchte, dass es noch schlimmer werden kann.
Das Bild der toxischen Männlichkeit beherrscht mehr und mehr die Diskussionen. Doch stimmt dieses Bild? Kann man wirklich davon ausgehen, dass dieses Bild richtig ist? Was macht das mit den Männern und natürlich auch den Frauen? Befinden wir uns auf einem gefährlichen Weg? Das will ich hier näher betrachten.

Das es für Männer und Frauen so schwierig zu sein scheint, das andere Geschlecht zu verstehen, bewegt seit Jahrhunderten die Gemüter. Viele Denkansätze und Forschungen darüber wurden betrieben. Sind wir wirklich damit weitergekommen?

Was wurde nicht alles angeführt, um die Unterschiede der Geschlechter zu zementieren. Nicht zuletzt gab es den Boom der angeblich so stark unterschiedlichen Denkweisen von Mann und Frau. Wer kennt sie nicht, die Stereotypen? „Männer denken strukturiert, lösungsorientiert und benutzen jeweils nur eine Hirnhälfte. Frauen dagegen denken auf viel komplexeren Wegen und benutzen beide Gehirnhälften.“ „Frauen beherrschen Multitasking, Männer können das aber nicht.“ Und, bekannt? Schon mal gehört oder gelesen? Ich würde mich wundern, wenn nicht. Haben sie aber auch gelesen, dass Überprüfungen und neue Experimente das alles ins Reich der Mythen verbannt haben?

Weiter geht es darum, festzustellen, welches Geschlecht gefährlicher ist. Und wer hätte es gedacht? Die Männer. Dass diese Behauptung auf sehr einseitigen Fragestellungen und Untersuchungen basiert, interessiert anscheinend nicht wirklich. Tatsächlich berücksichtigt fast keine der Untersuchungen die Rahmenfaktoren. Faktoren, die bestimmen, warum bestimmte Gesellschaftsgruppen in bestimmten Bereichen so eklatant häufiger erscheinen, wie andere.
Als Beispiel seien die Aussagen über häusliche Gewalt angeführt. Wie unisono sind die Aussagen, die behaupten, es seien die Männer, die hier besonders hervorstechen. Ja, aber nur, solange man alleine die juristisch bekannt gewordenen Fälle und die der physischen Gewalt berücksichtigt. Dass Männer, welche unter häuslicher Gewalt, hier in überwiegender Zahl psychischer Gewalt, leiden, diese extrem selten zur Anzeige bringen, wird einfach nicht berücksichtigt. Wie also mögen die Zahlen über häusliche Gewalt aussehen, wenn man diese ganzen Rahmenfaktoren mit einbezieht? Es ist zu vermuten, dass sich die Zahlen in Hinblick auf die Täter bei beiden Geschlechtern angleichen. Der Mann alleine das toxische Wesen? Womöglich doch nicht?
So könnte man ein Beispiel nach dem anderen durchgehen und würde letztlich auf ganz andere Zahlen und Ergebnisse kommen, die man als Diskussionsgrundlage heranziehen müsste.

Die Liste der Beispiele wäre sehr lang, worin das Bild von Mann und Frau aktuell dargestellt wird. Eine lange Liste voller Irrtümer und Fehler. Aber auch eine lange Liste ideologischer Diskussionsführung. Jeder einzelne Punkt solcher Beispiele wäre es wert, dass man ehrlich und sachlich darüber forscht und diskutiert. Doch neu ist das alles nicht. Allerdings hat sich die Deutungshoheit hier stark verschoben. Haben früher – also mal aus Sicht der schnelllebigen heutigen Zeit betrachtet: ganz früher – alleine die Männer die Diskussion beherrscht, so scheint das in der westlichen Welt überwiegend auf die Seite der Frauen gekippt zu sein. Haben früher schon die Ideologen am lautesten die Meinung bilden wollen, so tun sie es auch heute noch. Und so reiht sich in ganz klassischer Weise Irrtum an Irrtum, Behauptung an Behauptung. Die seriösen Stimmen sind zwar da, aber gehen im Geschrei der Ideologen weitgehend unter.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass man auf immer mehr, insbesondere junge Männer trifft, die das Bild des toxischen Mannes in sich aufgesogen haben und das alles tatsächlich über sich selbst anzunehmen bereit sind. Wenn man überall hören und lesen muss, wie schlimm Männer sind, dann kann das doch nicht falsch sein, oder?
Ich stelle für mich zunehmend fest, dass die heutigen Männer mental in vielen Punkten nicht zu einer echten Reife gelangen. So suchen viele Männer in Workshops ihr gesundes Männerbild, in denen maximal ein Bild eines jungen Mannes vorgegeben wird. Hier wird das Bild des Mannes favorisiert, der besonders seine feminine Seite erkennt, dabei aber leistungsorientiert und „wild“ ist. Das sind alles Kriterien, die auf junge Männer, maximal etwas über 20 Jahre alt, zutreffen sollten. Ein gereifter Mann zeichnet sich durch andere Qualitäten aus. Die werden höchst selten vermittelt.
Bibelleser finden dazu eine Darstellung im 1.Johannesbrief, die gründlich zu bedenken lohnenswert ist:
1Jo 2:12 Ich schreibe euch, Kinder, weil euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen. 13 Ich schreibe euch, Väter, weil ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch, ihr jungen Männer, weil ihr den Bösen überwunden habt. 14 Ich habe euch geschrieben, (Klein-)Kinder, weil ihr den Vater erkannt habt. Ich habe euch, Väter, geschrieben, weil ihr den erkannt habt, der von Anfang an ist. Ich habe euch, ihr jungen Männer, geschrieben, weil ihr stark seid und das Wort Gottes in euch bleibt und ihr den Bösen überwunden habt. (Rev.Elb.)
Johannes zählt hier tatsächlich vier Reifestufen auf: Kleinkinder, Kinder (beide leider nur mit „Kinder“ übersetzt), junge Männer und Väter. Wie gesagt, es lohnt sich diese Aussagen gründlich zu reflektieren.

In einem Artikel von Zachary Wagner (später mehr) fand ich folgende Gedanken über das aktuelle Männerbild:
Es ist an der Zeit, die Art und Weise zu ändern, wie wir über Männlichkeit und die männliche Sexualität sprechen und denken. Diese propagierte Sicht der Männlichkeit schafft eine Kultur, in der Männer sich in Unreife suhlen dürfen, nicht nur in sexueller Hinsicht. Es sollte nicht überraschen, wenn eine entmenschlichende Ideologie zu entmenschlichendem Verhalten führt. Wir sollten beginnen zu begreifen, wie das propagierte Männerbild Frauen objektiviert und entmenschlicht.
Was oft weniger beachtet wird, ist die Art und Weise, wie die aktuelle Bewegung auch Männer entmenschlicht hat. Wenn das frühere Männlichkeitsbild die Frauen entmenschlichte, indem sie sie als Sexualobjekte behandelte, so entmenschte sie heute die Männer, indem sie sie als Sexbesessen darstellt. Wenn die Körper der Frauen hypersexualisiert wurden, hypersexualisierte sie auch den Geist der Männer. Ein Großteil unserer Rhetorik und unserer Ressourcen übernahm die Annahme der Kultur, dass Männer hilflos und hoffnungslos hypersexuell sind, eine Überzeugung, die in Fernsehsitcoms fortgesetzt und im „Kneipengespräch“, ja sogar in Männerseminaren akzeptiert wurde.

Hier möchte ich weiter aus einem Artikel von dem Amerikaner Zachary Wagner über das christliche Männerbild zitieren:
„Christen kritisieren oft die breitere Kultur für ihre Beschäftigung mit Sex und sexueller Erfüllung, aber die Kirche ist nicht unschuldig daran, ihre eigenen sexuellen Idole zu schaffen. Während sie Alleinstehenden und sexuellen Minderheiten Enthaltsamkeit und Zölibat predigen, drehen sich einige heterosexuelle männliche Prediger und Autoren um und feiern die Herrlichkeit der (männlichen) sexuellen Befriedigung in der heterosexuellen Ehe.

Das Reich Jesu lehnt das geschaffene Gute der Sexualität nicht ab, aber es de-zentriert es.

In einer bizarren Abwandlung des Wohlstandsevangeliums haben einige christliche Lehrer behauptet, dass der Weg zu einem besseren Sexualleben darin besteht, Gottes Plan für den Sex zu befolgen. Ehefrauen werden aufgefordert, ihren Männern sexuell mehr zur Verfügung zu stehen, um ihre Probleme mit der Pornografie zu lösen. Alleinstehenden Männern wird gesagt, dass Gottes ‚Versorgung‘ für ihr unkontrolliertes sexuelles Verlangen die Ehe ist, wodurch eine Beziehung im Bund der Ehe auf ein zulässiges sexuelles Ventil reduziert wird. Da sexuelle Befriedigung auf subtile Weise als rechtmäßiges Erbe gottesfürchtiger Männer normalisiert wird, sind bestimmte Formen des männlichen sexuellen Anspruchs nur allzu verbreitet. …

Christen müssen sich energisch gegen die Unterstellung wehren, dass Maskulinität und Männlichkeit von Natur aus giftig und entmenschlichend sind. Wir müssen über die Kritik hinausgehen und anfangen, einen Kurs für positive und lebensspendende Modelle von Männlichkeit zu entwerfen. Und wir können auf Jesus als unser Beispiel schauen.
Erstens sehen wir die Güte der Männlichkeit in der Menschwerdung. Männer und Frauen sind beide von Gott in der Schöpfung geschaffen, bejaht und gesegnet worden (Gen 1,26-28), und Gottes Sohn selbst kam in der Gestalt eines Menschen auf die Erde. Und obwohl es wahr ist, dass Jesus das Modell für wahre Menschlichkeit ist, nicht nur für wahre Männlichkeit, ist es auch wahr, dass seine männliche Verkörperung für Männer einzigartig lehrreich sein kann und sollte, wie sie über ihre Sexualität denken und sie ausdrücken.
Von Jesus lernen wir zum Beispiel, dass Männer kein sexuelles Ventil brauchen, um ein erfülltes, selbstbestimmtes und gottgefälliges Leben zu führen. Das Erreichen der ‚wahren‘ Männlichkeit bedeutet für viele christliche Jungen und junge Männer oft eine bestimmte Art von getaufter sexueller Eroberung – erfolgreich eine Frau zu umwerben und Kinder zu zeugen. Jesus hat beides nicht getan. Wenn unser Skript der Männlichkeit so auf Sex zentriert geworden ist, dass es Jesus ausschließt, wird es vielleicht fällig, es zu überarbeiten.
Jesus verkörpert auch eine positive Vision für nicht-sexuelle Beziehungen zu Frauen. Wie Johannes 4 deutlich macht, folgte Jesus nicht der Billy-Graham-Regel (dass Männer alleine Männer und Frauen alleine Frauen in der Seelsorge beraten). Er ehrte Frauen mit Beziehung und Aufmerksamkeit. In den Evangelien verliert Jesus nie ein Wort darüber, dass die Kleidung von Frauen Männer zur Lust verleitet. Aber zu Männern, die daran gewöhnt sind, Frauen übermäßig zu erotisieren, sagte er: Schneidet euch die Hände ab und stecht euch die Augen aus (Mt 5,27-30). …

Das Reich Jesu lehnt das geschaffene Gut der Sexualität nicht ab, aber es dezentriert es. Ein Leben in der Nachfolge Jesu befähigt uns also, die Sexualität dem höheren Gut des Gedeihens der anderen unterzuordnen. Es befreit Männer von der Notwendigkeit, nach einem kulturellen Narrativ zu streben, das sich auf eine hypersexualisierte Leistung zur Erlangung ‚wahrer‘ Männlichkeit konzentriert.“
Zachary Wagner ist Redaktionsleiter des Zentrums für Pastoraltheologen und Autor des Buches „Non-Toxic Masculinity: Gesunde männliche Sexualität wiedergewinnen.“
(Quelle: Christianity Today – In Search of Non-Toxic Male Sexuality)

Ich folge seinen weiteren Ausführungen nicht in allem, finde diese Aussagen aber bemerkenswert.

Ich plädiere also für einen Waffenstillstand in Diskussionen und Medien im Krieg der Geschlechter. Lasst uns doch endlich einmal ehrlich und sachlich erforschen, was uns als Männer und Frauen tatsächlich unterscheidet oder eben auch nicht. Wo es auch gut ist, wo Männer und Frauen sich ergänzen. Wobei es erfrischend ist, wenn Männer ein Ja zu ihren femininen und Frauen ein Ja zu ihren maskulinen Anteilen finden. Lasst uns dazu kommen, über ein gesundes, nicht-toxisches Männerbild zu reden. Insbesondere wünsche ich mir als Christ dies in der christlichen Männerarbeit. Die Mühe, nicht einfach Trends zu folgen und ideologischen Maximen Glauben zu schenken, lohnt sich allemal.
Denn eins ist mal sicher: Gott hat Mann und Frau nicht dazu geschaffen, um auf Ewigkeit im Krieg zu liegen. Vielmehr dazu, dass wir gemeinsam die Fülle der göttlichen Schöpfung erfahren können.

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